Erna de Vries wurde 1923 in Kaiserslautern geboren. Ihr Vater Jacob Korn war evangelischer Christ. Ihre Mutter Jeanette Korn, geborene Löwenstein, war Jüdin. Die Eltern erzogen ihre Tochter im jüdischen Glauben.
Der Vater betrieb mit einem Geschäftspartner die Spedition „Sauerhöfer und Korn”. Er starb früh – 1931 – Erna war acht Jahre alt. Die Mutter führte das Unternehmen zusammen mit dem Partner ihres verstorbenen Mannes weiter. Aufgrund der Repressalien gegen Juden wurde eine Zusammenarbeit in der Firma mehr und mehr unmöglich, so dass die Mutter sich aus dem Geschäft zurückzog und mit ihrer Tochter von ihrem Ersparten aus dem Geschäftsanteil lebte.
Die Tochter besuchte zunächst eine private katholische Mädchenschule, später jedoch konnte sie das Schulgeld nicht mehr aufbringen und wurde in die jüdische Sonderklasse einer Schule in Kaiserslautern versetzt. Sie arbeitete nach der Schule in einer jüdischen Wäschenäherei. Ihr Wunsch war es, Ärztin zu werden.
Erna de Vries
Am Morgen nach der Pogromnacht vom 9. zum 10. November 1938 wurde das Heim der Korns vollständig verwüstet. Während die Mutter nach einem kurzen Aufenthalt bei ihrem Bruder in Köln nach Kaiserslautern zurückkehrt, verbleibt Erna in Köln und beginnt als Lernkrankenschwester in einem jüdischen Krankenhaus zu arbeiten, um ihrem Traum Ärztin zu werden ein Stück näher zu kommen.
Nachdem sie von Deportationen von Juden erfahren hatte, kehrte nach Kaiserslautern zurück, um bei ihrer Mutter sein zu können, und arbeitete in einer Eisengießerei. Im Juli 1943 sollte ihre Mutter deportiert werden. Erna Korn begleitete ihre Mutter freiwillig zunächst bis Saarbrücken, wo sie ins Gestapo-Gefängnis gebracht wurden. „So bin ich mit meiner Mutter ins Gefängnis Saarbrücken gekommen. Sie war unglücklich, dass ich das geschafft habe. Aber das war mir ganz egal (…)., ich wollte bei meiner Mutter sein.“ Im Juli 1943 wurde sie gemeinsam mit ihrer Mutter in das Konzentrationslager Auschwitz transportiert. In Auschwitz musste sie zunächst arbeiten und zog sich Verletzungen am Bein zu, die nicht mehr verheilten und sich im Gegenteil schwer entzündeten. Am 15. September 1943 wurde sie deswegen in den Todesblock 25 verlegt.
Am frühen Morgen des folgenden Tags wurden die Insassinnen des Blocks zu Lastwagen getrieben. Ein schreckliches Chaos brach aus – alles schrie, stolperte, fiel übereinander, zog sich verzweifelt an den Haaren – es war wie in der Hölle. Erna ließ sich einfach fallen: „Ich hatte einen Wunsch, ich wollte die Sonne noch mal sehen. Ich hab gedacht, wenn ich die Sonne sehe, dann kann mir doch nichts passieren. (…) … und ich habe die Sonne gesehen.“
Sie hörte, wie jemand ihre Häftlingsnummer rief. Der Rufende war ein SS-Mann, dem sie sich zu erkennen gab – so entkam sie der Vergasung in allerletztem Moment.
Erna Korn wurde von der Hinrichtung verschont, da sie als so genannter jüdischer Mischling ersten Grades ins KZ Ravensbrück gebracht werden sollte, um dort Zwangsarbeit zu leisten. Es gelang ihr in Auschwitz noch, sich von ihrer Mutter zu verabschieden, die dort am 8. November 1943 ermordet wurde.
Am 16. September 1943 erreicht der Transport das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück. Auch hier kommt Erna Korn zunächst in Quarantäne. Dort trifft sie Libusé Ingrova wieder, eine tschechische Gefangene, mit der sie bereits in Auschwitz im gleichen Block untergebracht war. Die beiden Frauen werden Freundinnen. Da Libusé Ingrova Zugang zur Küche des Lagers hat, kann sie Erna regelmäßig mit zusätzlichen Brotrationen versorgen.
In Ravensbrück werden Ernas Wunden zum ersten Mal notdürftig versorgt. Insgesamt herrschen im Konzentrationslager bessere Haftbedingungen als im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau.
1944 wird die mittlerweile 20-jährige in den angeschlossenen Betrieb von Siemens verlegt. Dort muss Erna Korn Arbeitsdienst für die Rüstungsindustrie leisten, bis das Werk am 14. April 1945 geschlossen wird und sie zurück ins Stammlager muss.
Ab dem 27. April 1945 wird auch das Konzentrationslager Ravensbrück geräumt. Alle Lagerinsassen, die noch laufen können, werden Richtung Nordwesten in Marsch gesetzt, die restlichen zum Sterben zurückgelassen. Mehrere Tage werden Erna Korn und ihre Mitgefangenen auf diesem „Todesmarsch“ durch das zerstörte Land getrieben. Sie ist erschöpft und kurz davor aufzugeben. Doch ihre Freundinnen aus dem Lager überreden sie, immer weiterzugehen. Kurz darauf wird der Treck in Mecklenburg von alliierten Soldaten befreit.
Nach dem Krieg lernte sie im Jahr 1947 in Köln ihren späteren Ehemann Josef de Vries kennen.
„Mein Mann war sechs Jahre im Lager. Auch wenn er es überstanden hat, hat er seine ganze erste Familie verloren, seine Frau und sein Kind. Ich habe mit ihm gesprochen, immer wieder, immer wieder. Und ich messe dem zu, dass wir das so einigermaßen verarbeiten konnten. Immer wieder davon sprechen, dass der andere ganz genau wusste, wovon man spricht.“
Erna de Vries, 2006
Seit 1998 besucht Erna de Vries Schulen und Bildungsstätten und erzählt jungen Deutschen ihre Geschichte.. Damit erfüllt Erna de Vries den Auftrag ihrer Mutter: „Du wirst überleben, und dann wirst du erzählen, was man mit uns gemacht hat.“
Quellen: Gespräche mit Erna de Vries im März 2012, wikipedia.de; projektzeitlupe.de.