Erlebnisse der Häftlinge

  • Halle 2:

    „Siemens hatte ein raffiniertes System, die Beziehungen zwischen Häftlingen und Aufsichtspersonal zu vergiften. Nur wenige von ihnen haben diesem System widerstanden und sich konsequent anständig zu den Häftlingen verhalten. […]“

    – Rita Sprengel, * 1907, Deutsche; Siemens: November 1942 – Oktober 1944, Halle 2

    „Ich arbeitete in einem Hallenbüro. Ich mußte angefertigte Werkstücke eintragen und graphische Darstellungen anfertigen.“

    – Johanna Sohst, * 1915, Deutsche „Halbjüdin“; Siemens: Sommer 1944 – April 1945, Halle 2

    „Die Spulerei, Halle 2, war die wichtigste Halle. Hier musste Präzisionsarbeit gemacht werden an den Handspul- und elektrischen Maschinen. […] Jede Spule musste die genau vorgeschriebenen Wicklungen haben, mit dem feinsten Kupferdraht. Diese Spulen wurden in Apparate eingebaut, die für Flugzeuge bestimmt waren. […]“

    – Yvonne Useldinger (geb. Hostert), * 1921, Luxemburgerin; Siemens: Mai 1943 – April 1945, Halle 2

    Halle 3:

    „Die Arbeit, die ich verrichten sollte, bestand in der Regulierung von Metallkontakten auf einem winzigen Detail (der deutsch Name dafür war – justieren). Den ganzen Tag saß ich, ohne von der Werkbank aufzustehen. Die Hände wurden taub, weil ich sie die ganze Zeit nach oben halten musste.

    Die Augen brannten. Mein Rücken wurde steif. Dennoch war es so besser als draußen im Frost. Aber jeden Tag wurde ich unendlich müde.“

    – Olga Sosnovskaja, * 1925, Sowjetunion/Ukrainerin; Arbeitsbeginn bei Siemens unbekannt, Halle 3

    „Ganz Siemens hat erzeugt für die V 2, für die Wunderwaffe, die sie erhofft haben. Sehr kostbare Federn mit Platin-, Gold- und Silberkontakten wurden dort gestanzt, für Relais. Die kamen in die Halle 3 und wurden montiert und justiert. Mit den Fingern durften sie nicht berührt werden. Die Frauen haben es dort nicht länger ausgehalten als drei, vier Monate, dann waren sie mit den Nerven fertig.“

    – Irma Trksak, * 1917, Österreicherin; Siemens: Ende Oktober 1942 – Januar 1945, Halle 3, dann Stubenälteste Siemenslager

    Halle 6:

    „Ich mußte in der 6. Baracke des Siemens-Arbeitslagers kleinste Maschinenteile zählen, immer in Akkordarbeit und unter Zeitdruck.“

    – Theodoline Katzenmaier,  * 1918, Deutsche; Arbeitsbeginn bei Siemens unbekannt, Halle X und Halle 6

    Halle 8:

    „[…] Der Zivilist führt bloß die Befehle aus, die er von seinen Vorgesetzten erhalten hat: er bringt die Fakten zur Anzeige und wäscht als guter Pilatus gleich danach seine Hände in Unschuld, weil der Fall nicht mehr in seine Zuständigkeit fällt. Es spielt keine Rolle, ob die Sklavin mit fünfundzwanzig Peitschen- oder Stockhieben bestraft wird, ob mit Erschießung, Entlassung oder Selektion; für ihn ist lediglich wichtig, dass er das Reglement befolgt hat. Die Zivilpersonen, die in der Fabrik arbeiten, halten sich peinlich genau an die Regeln […].“

    – Lidia Beccia Rolfi, * 1925, Italienerin; Siemens: Oktober 1944 – April 1945, Halle 8

    Halle 9:

    „Meine Abteilung war für die Mischung des Materials aus einem Pulver und einer Flüssigkeit zuständig. Diese wurden in riesige Töpfe getan; die Töpfe wurden auf Walzen gehoben, wo sie gemischt wurden. Nach der Mischung wurden sie in Formen gefüllt. Die Formen wurden mit großen heißen Pressen bearbeitet, da das Gemisch bei einer bestimmten Hitze gepreßt werden mußte. Dann wurden sie in Öfen gebacken und von beiden Seiten mit einer gelben Farbe bemalt, die einen Elektrizitätskontakt erzeugte. Nach dem Trocknen wurden sie wie Batterien gemessen.

    Ich glaube, das waren kleine Widerstände, die man in Bügeleisen oder in Radios einsetzte.“

    – Margrit Wreschner-Rustow (geborene Wreschner), * 1925, Deutsche Jüdin; Siemens: April 1944 – März 1945, Halle 9

    Halle 21:

    „Wir arbeiteten in Halle 21. Wir stellten Manometer und Voltmeter her, machten die Justierung, d.h. trugen die Arbeiten der ganzen Halle zusammen und machten die Instrumente zur Verwendung fertig. Schnell arbeitend mussten davon dreißig in der Nacht und dreißig am Tag gemacht werden; wenn es uns nicht gelang die Quote von dreißig zu erreichen, konnten wir bestraft werden. […]“

    – Bianca Paganini, * 1922, Italienerin; Siemens: November 1944 – April 1945, Halle 21

  • „Den Tag bringe ich damit zu, mir die Hände zusammenzulöten, mit dem Lötzinn herumzupfuschen, zu versuchen, die Drähte an der Spule zu befestigen, aber ich kriege herzlich wenig zustande. Trotz meines Misserfolgs werde ich angenommen, denn die Kollegin rechts von mir, eine Dänin, die ich noch nie zuvor gesehen habe, lötet für mich mit, am Abend ist meine Schachtel voller Spulen. In den nachfolgenden Tagen lerne ich das Handwerk, werde eine tüchtige Arbeiterin und schaffe es, die Mindestanforderungen an Produktivität zu erfüllen.“

    – Lidia Beccia Rolfi, * 1925, Italienerin; Siemens: Oktober 1944 – April 1945, Halle 8

    „Zunächst wurde ich bei der Firma Siemens in der Schreibstube eingesetzt, um täglich die Listen der Toten, der Neuzugänge, der ausfallenden und anzufordernden Arbeitskräfte zu führen. Bei diesen Schreibarbeiten habe ich mich extra vertippt, um diese Arbeit zu boykottieren. Ich wollte nicht die Namen meiner Mithäftlinge registrieren, unter dauernder SS-Aufsicht und persönlicher Lebensgefahr. So blieb meine Tätigkeit in dem Büro nur eine kurze Episode. […]“

    – Theodoline Katzenmaier,  * 1918, Deutsche; Arbeitsbeginn bei Siemens unbekannt, Halle X und Halle 6

    „Wir treten in die Fabrik ein, dieses Mal offiziell und regulär, beide für die Halle 8 bestimmt. Die 20 riesigen Lagerhallen von Siemens erstrecken sich in fünf Reihen, jede voneinander durch einen freien Raum, eine Art Straße getrennt. Die Gestaltung der Siemensanlage unterscheidet sich nicht von der [des Lagers] Ravensbrück, der Architekt ist dem gleichen Schema in Grau und der Ökonomie gefolgt.

    Unsere Halle ist ein einziger Schuppen ohne Unterteilungen im Inneren, ohne Latrinen, trostlos und laut. Die Spulmaschinen machen einen betäubenden Lärm.“

    – Lidia Beccia Rolfi, * 1925, Italienerin; Siemens: Oktober 1944 – April 1945, Halle 8

    „Die Deutschen nahmen sich das Recht, ausländische Internierte nicht nur ohne Gesetz und Urteil festzuhalten, sondern sie zwangen sie auch noch für den Krieg Hitlers zu arbeiten. Das war bei „Siemens“ der Fall. […]“

    – Yvonne Useldinger (geb. Hostert), * 1921, Luxemburgerin; Siemens: Mai 1943 – April 1945, Halle 2

    „[…] Man fragt sich, ob das ein Menschenleben wert ist. Wenn ich unersetzbar bin, versteh ich, daß ich mein Leben opfer, um nicht für den Krieg zu arbeiten. Aber wenn die so viele Menschen haben, daß sie statt dir zehn oder zwanzig hinschicken können, die aus Angst oder aus welchem Grund auch immer, arbeiten, wäre das Leben nicht sinnvoll geopfert. Das ist meine Meinung dazu. […]“

    – Irma Trksak, * 1917, Österreicherin; Siemens: Ende Oktober 1942 – Januar 1945, Halle 3, dann Stubenälteste Siemenslager

  • „Siemens-System“, Halle 2:

    „Siemens hatte ein raffiniertes System, die Beziehungen zwischen Häftlingen und Aufsichtspersonal zu vergiften. Nur wenige von ihnen haben diesem System widerstanden und sich konsequent anständig zu den Häftlingen verhalten. […]“

    – Rita Sprengel, * 1907, Deutsche; Siemens: November 1942 – Oktober 1944, Halle 2

    Kommission aus Berlin, Halle 1:

    „Einmal kam eine Kommission aus Berlin, unter ihnen der Generaldirektor von Siemens, um das Lager zu besichtigen. Da sagte der Generaldirektor wortwörtlich (ich war im Büro): ,,Ich kann mich nur wundern, dass diese Menschen unter diesen Bedingungen solch gute Arbeit leisten.“

    – Mimi de Bontemps, * unbekannt, Luxemburgerin; Arbeitsbeginn bei Siemens unbekannt, Halle 1

    „Rentables Geschäft“:

    „Zwei Kameradinnen (Anni Vavk und Ria Bockowa) bekamen einmal Kalkulationen und Abrechnungen der Siemens-Häftlingsbetriebe in die Hand. Aus ihnen hat sich, nach ihrer damaligen Mitteilung ergeben, dass Siemens damit gerechnet hatte, dass die baulichen und maschinellen Einrichtungen der Siemensanlage bei Ravensbrück in zwei Jahren aus den laufenden Verdiensten sich bezahlt machen würden. Entgegen diesen Voranschlag erfolgte dies bereits in einem Jahr.“

    – Rita Sprengel, * 1907, Deutsche; Siemens: November 1942 – Oktober 1944, Halle 2

  • „Wir freuten uns, dass uns die Sabotage geglückt. Am Abend sangen und tanzten wir vor Freude, dass uns die Sabotage gelungen war.“

    – Esther Bejerano, * 1924, Deutsche Jüdin; Siemens: ab Winter 1943/44, Halle 4

    „Was wir bei Siemens machten an Sabotage habe ich immer so gesehen, dass wir jede Gelegenheit benutzten etwas zu zerstören, sei es Material (und insbesondere „knappes“ Material), sei es dem Arbeitsvorgang, sei es die Verwaltung.

    […] sie war die einzige „politische“ Arbeit, die wir in der obwaltenden Lage leisten konnten und war daher nützlich und notwendig.“

    – Noen Beuzemaker, * unbekannt, Niederländerin; Siemens: ab Oktober 1942, Halle 2

    „Es gibt unfreiwillige Sabotage, wenn man aus Unfähigkeit oder Unaufmerksamkeit ein Stück verwechselt, ein Werkzeug kaputt macht oder ein Gerät beschädigt. Die Deportierte, die an der Maschine arbeitet, wird ungeachtet der Schadensursache für verantwortlich erachtet und bestraft, manchmal auch durch Erhängen.

    […] Relativ häufig sind auch die vorsätzlichen Sabotageakte. Zum Beispiel nimmt Maria Montuoro […] sie versteht es perfekt, die Stücke kaputt zu machen. Sie arbeitet am berüchtigtsten Platz in Halle 8 und geht mit einer giftigen Säure um, dem „Tri“, trotzdem unternimmt sie nichts, um ausgewechselt zu werden oder an einen besseren Platz zu kommen, damit sie bloß an ihrer Stelle bleiben und speziell in der Nachtschicht systematisch bei ihren Kondensatoren sabotieren kann.

    […] Auch der Diebstahl eines Stücks Draht, eines Blatts Papier, eines Lappens wird als Sabotage angesehen, aber diese Art Sabotage begehen alle. Als Sabotage gilt auch jede Form von Solidarität unter Kameradinnen.

    […] Den Gefährtinnen auf Kosten der Produktion beim Überleben behilflich zu sein ist für das System schwerste Sabotage“.

    – Lidia Beccia Rolfi, * 1925, Italienerin; Siemens: Oktober 1944 – April 1945, Halle 8

    „Die Aufseherin war schon bereit, zuzuschlagen, aber ich verwies auf die Kiste und Gott sei dank hatten die Anker dieser Kiste auch die Kratzer der anderen Kiste gehabt. Die Gefahr war vorüber, ich bekam keine Strafe. Es war ein Sabotageakt, aber ich weiß nicht, ob er in Berlin, von wo die Anker kamen, oder bei uns stattgefunden hat“.

    – Lisa Kammerstätter, * 1906, Österreicherin; Siemens: etwa ab November 1942, Halle 3, zweite Halle unbekannt

    „Da in dieser Halle 42 Sloweninnen arbeiteten, manchmal mehr und manchmal weniger, war besonders unser Anteil an der Sabotage sehr groß. Obwohl wir auch hier, wie überall, Häftlinge aus verschiedenen Nationalitäten waren, gab es zwischen uns keine Verräterinnen“.

    – Mara Pavletic, * unbekannt, Slowenin; Arbeitsbeginn bei Siemens unbekannt, Halle 8

  • „Da ich in meiner Arbeit besonders schnell geworden bin, mache ich, sobald das Soll erfüllt ist, was mir gefällt: Ich schreibe und zeichne, lerne Gedichte auswendig, schlängle mich zwischen den Maschinen durch und gehe Mara besuchen, die hinten in der Baracke arbeitet, am Tri. Mara hat, ich weiß nicht wie, eine Taschenbuchausgabe der Göttlichen Komödie gerettet und leiht sie mir manchmal aus. Es tut gut, auf Italienisch zu lesen.“

    – Lidia Beccia Rolfi, * 1925, Italienerin; Siemens: Oktober 1944 – April 1945, Halle 8

    „Man hatte ein bestimmtes Soll. Wer die Norm nicht schaffte, wurde bestraft. Es gab auch Prämien, aber wir nahmen sie nicht an.“

    – Barbara Zajączkowska-Rubinstein, * 1926, Polin; Arbeitsbeginn bei Siemens unbekannt, Halle unbekannt

    „Ich kann mich dazu noch daran erinnern, dass es im Anfang einen Streit gegeben hat, ob wir, die Bürohäftlingen, die Prämien sollten entgegennehmen oder nicht. Wir brauchten dafür zwar keine extra Leistung zu liefern wie die Maschinenarbeiterinnen, bekamen sozusagen die Prämien umsonst, es ekelte uns aber an, die Dinger zu nehmen.“

    – Noen Beuzemaker, * unbekannt, Niederländerin; Siemens: ab Oktober 1942, Halle 2

    „Wir stellten Manometer und Voltmeter her, machten die Justierung, d.h. trugen die Arbeiten der ganzen Halle zusammen und machten die lnstrumente zur Verwendung fertig. Schnell arbeitend mussten davon dreißig in der Nacht und dreißig am Tag gemacht werden; wenn es uns nicht gelang die Quote von dreißig zu erreichen, konnten wir bestraft werden.“

    – Bianca Paganini, * 1922, Italienerin; Siemens: November 1944 – April 1945, Halle 21

  • Kontakt zu Zivilisten, Zivilisten folgen Befehlen, Halle 8:

    „[…] Kontakte zwischen den deportierten Frauen und Zivilpersonen ergeben sich nur während der Arbeitsstunden und unter rigoroser Einhaltung der hierarchischen Rangfolge. So kommen die Siemens-Arbeiterinnen beispielsweise nur mit dem oder der Abteilungsleiter oder -leiterin in Kontakt, und nur aus gewichtigem, arbeitsbedingtem Anlass. Normalerweise ist die Bande rouge dafür zuständig, zwischen den beiden Kategorien zu vermitteln, sei es um die Arbeit zu verteilen, sei es, um Fehlende festzustellen, sei es, um Beobachtungen zu notieren. […] Der Zivilist führt bloß die Befehle aus, die er von seinen Vorgesetzten erhalten hat: er bringt die Fakten zur Anzeige und wäscht als guter Pilatus gleich danach seine Hände in Unschuld, weil der Fall nicht mehr in seine Zuständigkeit fällt. Es spielt keine Rolle, ob die Sklavin mit fünfundzwanzig Peitschen- oder Stockhieben bestraft wird, ob mit Erschießung, Entlassung oder Selektion; für ihn ist lediglich wichtig, dass er das Reglement befolgt hat. Die Zivilpersonen, die in der Fabrik arbeiten, halten sich peinlich genau an die Regeln […].“

    – Lidia Beccia Rolfi, * 1925, Italienerin; Siemens: Oktober 1944 – April 1945, Halle 8

    Ingenieur oder SS-Mann?:

    „[…] An diesem zivilen Ingenieur war ein SS-Mann verlorengegangen. Er scheute nicht davor zurück, ‚arbeitsunwillige‘ Häftlinge bei der Aufseherin anzuzeigen und eine Meldung zu verlangen. […] Für ihn schien festzustehen, dass Häftlinge keine Menschenrechte zu beanspruchen haben. […]“

    – Magarete Buber-Neumann, * 1901, Deutsche; Siemens: ab Winter 1942/43, Halle 1

    Angeekelt, Nette Zivilistin:

    „[…] Es kam vor, dass wir im Lager kein Wasser hatten, also ungewaschen zur Arbeit kamen. In den meisten Fällen wurde nicht erlaubt, sich ein wenig zu waschen; erst als dieser Zustand ein paar Tage anhielt, wurde uns gestattet, Hände und Gesicht unter der Leitung abzuspülen, aber nicht etwa um uns damit entgegen zu kommen, sondern nur weil sich die Zivilisten vor uns ungewaschenen Häftlingen ekelten, wie sie sich ausdrückten. […] Es gab auch Zivilarbeiter, die sich sehr anständig und menschlich uns Häftlingen gegenüber benahmen, nur durften sie es nicht merken lassen, da ihnen bei jeder Versammlung angedroht wurde, sie selbst würden in K.Z. kommen, wenn sie sich privat mit den Häftlingen, die Volksschädlinge sind, unterhalten. […]“

    – Inge Wodrig, * unbekannt, Deutsche

    Meister Krszork:

    „Meister Krszok war Zivilist, aber ein eingefleischter Nazi. Die inhaftierten Frauen behandelte er grob und schroff. […] Bald bemerkte ich aber, dass es ihm nicht so sehr auf die Arbeit ankam als vielmehr darauf, dass er nicht an die Front musste und den Krieg in der Heimat überstehen konnte.“

    – Gusta Fučiková, * unbekannt, Tschechin; Siemens: ab September 1943, Halle 8

    Keine Bestrafung:

    „[…] In Wirklichkeit erfolgte die Bestrafung nie, auch weil der Meister, der uns bewachte, ein Zivilarbeiter deutsch-französischer Herkunft war, der diese Sprache auch beherrschte; der andere war Meister Strauss, an den ich mich immer erinnere, weil er sich mit mir und meiner Schwester immer bestens verstand. ,,Zwischen Paganini und Strauss muss man sich wohl verstehen“ sagte er. Mit ihm, der nur deutsch sprach, verstanden wir uns mit ganz wenigen Worten und er hat uns mit Gesten beigebracht zu reparieren, zu justieren, die lnstrumente zu zerlegen und zusammenzubauen, die wir herstellten mussten: er zeigte uns wie man die Arbeit macht und wir wiederholten seine Gesten. Wenn etwas nicht funktionierte, riefen wir ihn und er half uns.“

    – Bianca Paganini, * 1922, Italienerin; Siemens: November 1944 – April 1945, Halle 21

    Nette Vorarbeiterin:

    „Ich hatte das Glück, Frau Hintze, eine von den netten, als Vorarbeiterin zu haben, Sie brachte uns oft etwas zu essen mit oder kümmerte sich um unsere Post, indem sie sie mit nach Berlin nahm und sie dort in den Kasten steckte. Das war eine besonders große Hilfe für uns.“

    – Bianca Paganini, * 1922, Italienerin; Siemens: November 1944 – April 1945, Halle 21

    Humaner Mensch:

    „Ich und meine Freundinnen in unserem Arbeitsbereich hatten Glück, denn unser kahlköpfiger und gebeugter Meister Alfred Nitschke, ein Berliner und Vater zweier Kinder, war ein humaner Mensch. Er hat uns kaum beobachtet. Er hat sogar uns gewarnt, wenn die Aufseherin, die den ganzen Tag auf dem Gang in der Mitte der Halle auf und ab ging, in der Nähe war. Manchmal konnten wir versuchen, während wir lang mit den deutschen Meisterinnen diskutierten, auf verschiedene Art die Einzelteile zu beschädigen, also Sabotage betreiben, aber vorsichtig natürlich. Meister Nitschke berichtete einigen von uns sogar über das Vorankommen der Roten Armee in Richtung Westen.“

    – Marija Jacenko, * unbekannt, Sowjetunion / Ukrainerin; Arbeitsbeginn bei Siemens unbekannt,  Halle 4

    „Ich arbeitete in einem Hallenbüro. Ich mußte angefertigte Werkstücke eintragen und graphische Darstellungen anfertigen. Mein unmittelbarer Vorgesetzter war ein Zivilangestellter namens Gerstenberger, ein alter Sozialdemokrat, der uns versicherte, daß er unter ähnlich schlechten Bedingungen in einer Baracke in der Nähe leben mußte. Er war hierher strafversetzt worden. Er tat für uns, was er konnte. Gelegentlich stahl er Kartoffeln und gab uns von seinem Brot ab. […] Unser oberster Chef hieß Grade. Ich habe ihn später suchen lassen‘ aber nicht gefunden. Ein ausgesprochener Menschenschinder. Wenn sich eine Frau vor Schmerzen krümmte, ging er mit einem Stock auf sie los und hat so lange geschlagen, bis sie auf ihren Schemel zurückkroch. Wenn einer Kameradin, die feinste haardünne Drähte auf Spulen wickeln mußte, der Draht dreimal riß, wertete er das als Sabotage. In solchen Fällen wurden die Häftlinge beseitigt.“

    – Johanna Sohst, * 1915, Deutsche „Halbjüdin“; Siemens: Sommer 1944 – April 1945, Halle 2

    Die Überlebende Lidia Beccaria Rolfi berichtet über ihre Begegnung mit einer zivilen Aufseherin:

    „[…] für mich die erste Frau seit meiner Ankunft im Lager, die weder Deportierte ist noch zur SS gehört. Die Zivilistin, Fräulein Masalski, hat die Funktion der Abteilungsleiterin inne, und theoretisch soll sie mir die Arbeit zeigen, aber sie hat keine Lust, einer verlausten Person nahe zu kommen. […] Als die im Sicherheitsabstand vorgenommene Vorführung beendet ist, kehrt Fräulein Masalski an ihren Platz zurück, verliert ihr Interesse an mir und lässt mich ihre blitzschnelle Vorführung allein in die Tat umsetzen.“

    Weiterhin berichtet sie über die ihr widerfahrene Schikane einer SS-Aufseherin und die Reaktion einer Zivilaufseherin:

    „[…] aber es kommt vor, dass die Aufseherin ihren Spaß daran hat, einer ihr nicht genehme Deportierte zu triezen. Und die Aufseherin aus meiner Halle ruft mich grinsend regelmäßig heraus und schickt mich zum Kohleabladen, während die Zivilarbeiterin sich raushält und sie gewähren lässt, obwohl sie unter dem Vorwand, dass sie meine Arbeit braucht, durchaus intervenieren könnte.“

    – Lidia Beccia Rolfi, * 1925, Italienerin; Siemens: Oktober 1944 – April 1945, Halle 8

    Paganini über einen zivilen Siemensmitarbeiter in Halle 21:

    „[…] Meister Strauss, an den ich mich immer erinnere, weil er sich mit mir und meiner Schwester immer bestens verstand. „Zwischen Paganini uns Strauss muss man sich wohl verstehen“ sagte er. {168} […] er hat uns mit Gesten beigebracht zu reparieren, zu justieren, die Instrumente zu zerlegen und zusammenzubauen, die wir herstellen mussten: er zeigte uns wie man die Arbeit macht und wir wiederholten seine Gesten. Wenn etwas nicht funktionierte, riefen wir ihn und er half uns.“

    – Bianca Paganini, * 1922, Italienerin; Siemens: November 1944 – April 1945, Halle 21

  • ,,Die Arbeit spielt sich in zwei Schichten ab: zwölf Stunden für die Tagschicht mit einer Mittagspause für die Suppe, und zwölf Stunden Nachtschicht mit einer Viertelstunde Pause um Mitternacht. Tag und Nacht arbeiten die Sklavinnen Vollzeit, ohne Unterbrechung, nicht mal für den Gang zur Latrine.

    Krankheitsbedingt fehlende Arbeiterinnen werden sofort ersetzt, unproduktive werden entlassen und durch andere in körperlich guter Verfassung ersetzt. Nur gute Arbeiterinnen, die Ertrag bringen und wegen Krankheit allenfalls kurz ausgefallen sind, werden nach ihrer Genesung wieder eingestellt, aber sobald sie den Arbeitsrhythmus nur ansatzweise verlangsamen, schafft man auch sie sich vom Halse.“

    „[…] Die Nachtschicht geht von 6 Uhr abends bis um 6 Uhr morgens, regelmäßig mit einer Viertelstunde Pause um Mitternacht und vielen Pausen außer der Reihe, sobald Fliegeralarm ausgelöst und das Licht in den Hallen gelöscht wird […].“

    – Lidia Beccia Rolfi, * 1925, Italienerin; Siemens: Oktober 1944 – April 1945, Halle 8

    „[…] Die Nachtarbeit war sehr anstrengend, man musste im Kunstlicht die Augen sehr anstrengen. Die Arbeit selbst war nicht sehr schwer, sie erforderte Konzentration, da es Präzisionsgeräte waren. […]“

    – Barbara Zajączkowska-Rubinstein, * 1926, Polin; Arbeitsbeginn bei Siemens unbekannt, Halle unbekannt

    „[…] In der einstündigen Mittagspause marschierten wir in schnellem Tempo zum alten Lager, stürzten in die Blöcke hinein und nutzten als Siemensarbeiter den Vorteil, daß wir unsere Blechschüsseln vor den anderen gefüllt bekamen. Wir hatten zwanzig Minuten Zeit zum Essen, zur Toilette zu gehen und die Hände zu waschen. […]“

    „[…] Schon im Sommer war für uns die Nachtschicht eingeführt worden. […] ,wo wir elf Stunden arbeiten mußten und nur eine halbstündige Pause um Mitternacht hatten. […]“

    – Astrid Blumensaadt (geb. Pedersen), * unbekannt, Dänin; Siemens: 19.12.1943 – 08.04.1945, Halle unbekannt

    „[…] Und da bin ich dann hinaufgekommen zu Siemens. Und dort, ja nachdem ich kleine Hände gehabt habe, da sind Flugzeugbestandteile hergestellt worden. Eben weil ich die kleinen Hände gehabt habe für die kleinen Sachen, bin ich zum Spritzen gekommen, sagen wir halb eins, eins in der Früh, bin ich ihnen immer zusammengefallen, ich war ganz allein in einem Riesenraum. Da war so ein Waschtrog, so ein Riesenwaschtrog war da, mit Aceton, zum Reinigen für alles, und jetzt hast du nichts im Magen, Fenster, ich weiß gar nicht, ob es überhaupt eines gegeben hat. Wenn, dann hättest du es nicht aufmachen dürfen wegen der Verdunkelung. lch bin ihnen jede Nacht zusammen gefallen. ln derTüre ist so ein Glasfenster gewesen und wenn die SS durchgegangen ist und Kontrolle gemacht hat und wenn sie mich nicht hat stehen gesehen, dann hat sie gewußt, daß ich wieder zusammen gefallen bin. Also alle die dort Dienst gemacht haben sind herein gekommen und haben mich angeschüttet mit einem Kübel Wasser und dann habe ich wieder weiter gespritzt. Bis sechs Uhr in der Früh war meine Schicht und ich, waschelnaß und so mußte ich, gleich von der Fabrik um sechs Uhr in der Früh zum Zählappell.“

    – Regina Chum (geb. Waringer), * 1923, Österreicherin; Siemens: ab Mitte 1944 – Ende März 1945, Halle unbekannt

    „1500 Häftlinge marschierten täglich in die Arbeitsbaracken der Siemenswerke, die unter dem Schutz des Lagers Instrumente für Flugzeuge und Schiffe herstellten. Nun sollten auch die Wohnbaracken für Siemenshäftlinge der Vollendung entgegengehen. Damit würde ich von meiner lieben tschechischen Freundin getrennt werden. Nach langen Verhandlungen mit meinem Vorgesetzten runter Angabe meines Gesundheitszustandes gelang es mir, von dem alten Posten als Anweisung wegzukommen, um mich bei Siemens im Betriebsbüro zu bewerben. Kurz vor dem Heiligen Abend 1944 konnte ich den Umzug ausführen und wiederum an der Seite meiner lieben Lagerkameradin das Leben erträglicher gestalten. Es bedurfte einer Umstellung für ein völlig neues Arbeitsgebiet und da mir technische Dinge von Natur aus nicht liegen, bereiteten mir am Anfang die technischen Berechnungen auch ordentlich Kopfzerbrechen.“

    – Gertrud Popp, * unbekannt, Deutsche; Siemens: ab Dezember 1944 – Entlassung am 21. April 1945, Halle unbekannt

    Irma Trksak hat in Ihrer Zeit im Siemenslager in Halle 3 – Relaisbau gearbeitet. Ihre Aufgabe bestand darin, Diagramme zu erstellen, die die Leistungen der Häftlinge darstellte, wie viel am Tag produziert wurde und ob sich die Leistung der Häftlinge verändert hat. Trksak hat um andere Häftlinge zu schützen, diese Statistiken verfälscht und beim Übersetzen gelogen.

    „[…] Und das musste ich eintragen und Kurven zeichnen. Ob sich ihre Leistung erhöht oder ob sie schwächer wird und so weiter. Natürlich haben wir versucht auch zu schwindeln. Wir haben denen, die viel gemacht haben weggenommen, damit die Summe stimmt, und denen, die weniger gemacht haben, haben wir ein bissel dazu gegeben um die Frauen zu schützen. […] Oder ich hab gedolmetscht zwischen Russisch und Deutsch, wenn der Meister was gesagt hat, was nicht so war für den Häftling, hab ich das abgeschwächt und umgekehrt. Also, immer auszugleichen damit den Häftlingen nichts trifft, nichts böses, damit er nicht bestraft wird mit Kostenentzug oder irgendwie Entlassung sogar aus der Firma.“

    – Irma Trksak, * 1917, Österreicherin; Siemens: Ende Oktober 1942 – Januar 1945, Halle 3, Stubenälteste im Siemens Betrieb

    „Die Arbeitszeit war von 6:30 Uhr bis 19:30 Uhr mit einer einstündigen Mittagspause. Doch es kam vor, dass wir bis 22 Uhr arbeiten mussten, die Sonntage eingeschlossen. Andere Häftlingsfrauen mussten schweißen, Schutzbekleidung gab es nicht. Die Frauen hatten weder Schutzbrillen, noch Handschuhe oder Schürze. Andere Frauen arbeiteten an der Galvanisierung, auch ohne Schutz, dort wurden Metalle mit Säuren geprüft. Die Frauen zogen sich Brandwunden zu, hatten Sehschwächen mit geröteten und geschwollenen Augen. Wenn sich eine Frau ins Krankenrevier meldete, wurde sie mit einem Fußtritt davon gejagt. Anfangs waren wir 500 in dieser Fabrik, nach einem Jahr war diese Zahl auf 8000 angewachsen. […]“

    – Janina Pawlak, * 1914, Polen; Siemens: April 1942 – November 1944, Halle unbekannt